Die HDP-Abgeordnete Leyla Güven befindet sich seit dem 7. November 2018 in einem unbefristeten Hungerstreik im Gefängnis von Amed (Diyarbakir) für die Aufhebung der Isolation Abdullah Öcalans im Hungerstreik. Über 300 Gefangene in türkischen Gefängnisse sowie zahlreiche KurdInnen im Exil haben sich inzwischen Leyla Güven angeschlossen.
Wir veröffentlichen nachfolgend einen Brief von Leyla Güven, den sie am 24. Januar geschrieben hat. Sie wurde am Tag danach aus dem Gefängnis entlassen – erklärte aber unverzüglich, dass sie ihren Hungerstreik weiter führen werde, da ihre Forderung nie ihre Freilassung sondern das Ende der Isolation ist und bleibt: „So beschwerlich der Weg auch sein mag, wir werden gewinnen. Ich wurde aus dem Gefängnis entlassen, damit der Widerstand gespalten wird. Aber wir werden in Würde weiterleben.“
Brief von Leyla Güven
Liebe Frauen*, Trotz unserer geografischen Trennung von tausenden Kilometern, bin ich froh, dass ihr meine Stimme gehört habt.
Obwohl wir von sehr unterschiedlichen Ecken der Welt sind, haben wir uns als Frauen immer gegenseitig wahrgenommen. Wie Hypatia sagt, „Keine von uns sieht aus wie die andere, aber die Dinge die uns vereinen sind grösser als die Dinge die uns trennen. Wir sind alle Schwestern.“ Das, was uns am meisten vereint, ist unser Freiheitskampf, unser Widerstand gegen alle Arten von Faschismus, Diktatur und patriarchale Mentalität.
Frauen im Widerstand, werden immer zu Symbolen – Clara Zetkin, Rosa Luxemburg, die Schwestern Mirabal, Sakine Cansiz, Leyla Qasim und viele andere Frauen wurden zu Symbolen durch ihren Freiheitskampf. Als Frauen bilden wir die Hälfte der Weltbevölkerung. Jedoch sind wir alle unterdrückt. Immer wenn wir begannen für unsere Rechte zu kämpfen, wurden wir als Terroristinnen bezeichnet.
Alle Frauen der Welt müssen sich gegen den Faschismus und gegen Diktatur aussprechen!
Das Ermorden von Frauen durch häusliche Gewalt, Beschneidung, Kinderheirat, die Verurteilung von Frauen zur Todesstrafe im Iran – Zeynep Celalyan ist eine von ihnen –, die kurdischen Frauen, denen sogar ihre Muttersprache verboten wurde, die arabischen Frauen die vom Krieg fliehen mussten, all das sind Aspekte des Feminizides. Dieser Feminizid kann durch Solidarität der Frauen zueinander überwunden werden – wir müssen nur entschlossen sein!
Liebe Schwestern, Ich bin eine kurdische Frau. Mein Bewusstsein über die Ungerechtigkeit gegen Frauen entwickelte sich durch Abdullah Öcalan. Die Genossenschaftlichkeit von Abdullah Öcalan gegenüber Frauen und sein Kampf für die Frauenbefreiung hat Millionen von Frauen Mut gemacht, ihre Freiheit zu verteidigen und einen eigenen Willen zu entwickeln. Frauen erlebten einen Prozess der Selbstwerdung. Und ich bin eine dieser Frauen. Ich habe gelernt mit meinem Geschlecht Frieden zu schliessen, gegen die patriarchale Geisteshaltung zu kämpfen und ich habe gelernt eine Feministin zu sein. Ich habe gelernt, dass eine Gesellschaft nur frei sein kann, wenn wir Frauen frei sind. Ich habe viele Jahre den Kampf für die Frauenbefreiung geführt und ich werde den Kampf weiterführen.
Abdullah Öcalan, dem ich mein Bewusst-werden zu verdanken habe, befindet sich seit 20 Jahren in Isolationshaft auf einer Insel. Um eine Aufhebung der Isolation von Abdullah Öcalan zu erwirken, den Millionen von Kurd*innen als ihren politischen Repräsentanten begreifen, habe ich einen Hungerstreik begonnen.
Abdullah Öcalan ist ein wichtiger Akteur für den Frieden im Mittleren Osten und in der Welt. Als Gefangenem werden ihm sowohl nationale als auch internationale Rechte aberkannt.
Als kurdische Politiker*innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und des Demokratischen Gesellschaftsrates (DTK) haben wir immer wieder die Anerkennung seiner Rechte und die Aufhebung der Isolationshaft gefordert. Allerdings haben uns die Faschist*innen der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) und die MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) immer ins Gefängnis gesperrt, um uns zum Schweigen zu bringen. Insbesondere nahmen sie Frauen ins Visier. Mehr als die Hälfte der inhaftierten Abgeordneten sind Frauen. Das Gleiche gilt für die Bürgermeister*innen, welche inhaftiert wurden. Die Mentalität, die die Frauenquote in der Politik nicht akzeptiert, setzt auf eine Strategie von 60-70% Frauenquote im Gefängnis.
Ich bin seit ungefähr einem Jahr inhaftiert. Eine Gefangene verfügt über nichts, ausser über ihren Körper. Deshalb habe ich diesen Hungerstreik gestartet. Es befinden sich jetzt, zusammen mit mir, über 230 Freund*innen in Gefängnissen im ganzen Land in einem unbefristeten – unumkehrbaren – Hungerstreik. Hannah Arendt hat ein wunderschönes Zitat: „Freiheit bedeutet Aktion. Freiheit kann nur durch Aktion erlangt werden. Aktion bringt Bewegung, die unter den Menschen wiederhallt.“
Die Forderungen meiner Aktion sind legitim und rechtmässig. Wenn unsere Forderungen nicht erfüllt werden, könnten hunderte von Menschen ihr Leben verlieren. Wenn so etwas im 21. Jahrhundert passiert, ist dies nicht nur eine Schande für die Türkei, sondern für die ganzen Menschheit. Damit diese Schande nicht eintritt, müssen Frauen weltweit alles tun, was sie können und zwar unverzüglich. Wir werden weiterhin Widerstand leisten. Der Widerstand wird fruchten, daran glauben wir ununterbrochen. In diesem Sinne rufe ich euch alle auf, Widerstand zu leisten! Lang lebe die Solidarität der Frauen und der Menschen!“
Eine geht, tausend kommen
Drei Tagen nach ihrer Haftentlassung erklärt Leyla Güven der Presse gegenüber: „Als ich aus der Haftanstalt in Amed entlassen wurde, war das sehr schwierig für mich. Es ist der Ort, an dem ich den Widerstand begonnen hatte. Auch der grosse Widerstand vom 14. Juli [gemeint ist das von PKK-Mitgliedern angeführte Todesfasten gegen das türkische Militärregime, welches am 14. Juli 1982 im Gefängnis von Diyarbakir/Amed aufgenommen wurde] fand zwischen diesen Wänden statt. Diese Bedeutung war mir bei der Aufnahme meines Hungerstreiks bewusst. Es ist, als hätte ich die Worte der Freundinnen und Freunde von damals in meinem Ohr.“ Weiter betonte sie die Wichtigkeit der Solidarität ausserhalb der Gefängnismauern: „Isolation ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit. Wir haben auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Mitteln versucht, sie zu durchbrechen, doch leider ohne Erfolg. Wenn dieser faschistische Staat von uns in diesem Kampf Opfer einfordert, so bin ich als eine kurdische Frau in aller Deutlichkeit bereit, dieses Opfer zu bringen. Hierfür habe ich den ersten Schritt getan und nun hat sich der Widerstand auf alle Gefängnisse ausgeweitet. Wenn ihr die Moral und Motivation in den Gefängnissen sehen würdet, ihr wärt sofort überzeugt davon, dass diese Kraft die Isolation durchbrechen wird. Hieran sollte niemand zweifeln.“
(Artikel von Beritan Frauenrat Zürich, erschienen in der Vorwärts-Nummer zum 8. März (https://www.vorwaerts.ch/feminismus/die-isolation-durchbrechen-solidaritaet-mit-leyla-gueven/)